Hedwig Dohm kommt am 20. September 1831 als Marianne Adelaide Hedwig Jülich zur Welt. Sie ist das dritte Kind und die älteste Tochter des Tabakfabrikanten Gustav Adolph Schlesinger und Wilhelmine Henriette Jülich.
Alle Äußerungen Dohms über ihre Kindheit weisen darauf hin, dass diese nicht eben glücklich war. Hedwig Dohm hat Zeit ihres Lebens darunter gelitten, dass ihr nicht die gleichen Bildungsmöglichkeiten offenstanden wie ihren Brüdern. In ihrer Mädchenschule fühlte sie sich hoffnungslos unterfordert. Diese fehlende Schulbildung wurde für sie zu einem Manko, das sie bis ins hohe Alter bemüht war, zu überwinden, und das sie sicherlich motivierte, sich für eine bessere Ausbildungssituation für Mädchen und Frauen und den uneingeschränkten Zugang zu sämtlichen Studienfächern und Berufen einzusetzen.
In ihrem Essayband "Die wissenschaftliche Emancipation der Frau" von 1874 findet Dohm für die ungleichen Chancen von Mädchen und Jungen ein treffendes Bild:
"Denken Sie sich, Herr von Bischof, unser Friedrich Schiller wäre in seiner Feldscheer-Familie als kleine Friederike zur Welt gekommen. Was würde wohl Großes in
der kleinen Mädchenschule zu Marbach aus dieser Friederike geworden sein? Ich kann es mir lebhaft vorstellen! Schillers Riekchen hätte in der Schule beim schläfrigen Lese- oder Rechen-Unterricht,
anstatt aufzupassen, ihre Bücher mit Versen beschmiert, und ahnungslos würde der Lehrer die sapphoschen Kleckse mit Fingerklopfen gestraft haben.
Riekchen hätte man oft unter einem Lindenbaum gefunden - träumend.
Riekchen hätte frühzeitig ihren guten Ruf verloren wegen verprudelter Handarbeiten und Ungeschicklichkeiten beim Aalschlachten. Ihr wäre auch kein Mann zu Teil geworden; denn der Verdacht zukünfitger
Blaustrümpfigkeit häte jeden soliden Marbacher abgeschreckt. Riekchen wäre führzeitig gestorben - an einem Herzfehler.
Keine Nachwelt würde, O Riekchen, deinen Namen nennen; und dennoch, so gut Raphael (nach Lessing, auch ohne Hände geboren der größte Maler aller Zeiten gewesen wäre, ebenso gut wärst auch du die
größte Dichterin Deutschlands gewesen, wenn auch ungedruckt." (Dohm 1874, S. 42f.)
Die schlechte Schulbildung Dohms darf aber nicht darüber hinwegtäuschen , dass sie eine geniale Autodidaktin war. Dies beweist allein schon ihre erste größere Publikation: eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Spanischen Literaturgeschichte.
Am 21. März 1853 heiratet sie Wilhelm Friedrich Ernst Dohm, der als leitender Redakteur beim Satireblatt "Kladderadatsch" arbeitet.
1854 Geburt des Sohnes Hans Ernst. Er stirbt bereits 1866 an Scharlach.
1855 Geburt der Tochter Gertrud Hedwig Anna, genannt "Hedel", die spätere Hedwig Pringsheim-Dohm: Mutter von Katia Mann, Schwiegermutter von Thomas Mann.
1856 Geburt der Tochter Ida Marie Elsbeth, genannt "Else", später Else Rosenberg.
1858 Geburt der Tochter Marie Pauline Adelheid, genannt "Mieze", später Maria Gagliardi.
1859/1860 Geburt der Tochter Eva, später Eva Klein (Gattin des Bildhauers Max Klein), dann Eva Bondi (Gattin des George-Verlegers Georg Bondi).
Durch ihren Mann kommt Hedwig Dohm in Kontakt mit der geistigen Elite der Berliner Gesellschaft, die Liste der Persönlichkeiten, die bei den Dohms verkehren, ist lang und beeindruckend, das Dohmsche Haus wird ein beliebter und bekannter Salon: Ferdinand Lassalle und die Gräfin Hatzfeld sind genauso zu Besuch wie Alexander von Humboldt, Franz Liszt, Theodor Fontane, Fanny Lewald und Adolf Stahr, Varnhagen von Ense und seine Nichte Ludmilla Assing, Ludwig Pietsch, Fritz Reuter, Lily Braun und das Verleger-Ehepaar Lina und Franz Duncker.
Von 1872 bis 1879 erscheinen ihre ersten vier feministischen Essaybände ("Was Pastoren von den Frauen denken", "Der Jesuitismus im Hausstande", "Die wissenschaftliche Emancipation der Frau" und "Der Frauen Natur und Recht"): Schon der erste macht sie mit einem Schlag bekannt. Außerdem schreibt sie mehrere Lustspiele, die in Berlin mit Erfolg aufgeführt werden, und gibt Gedichtanthologien heraus.
Nach dem Tod ihres Mannes 1883 zieht sie nach einiger Zeit in eine Wohnung in der Villa ihrer Tochter Else und ihres Ehemannes Hermann Rosenberg in die Tiergartenstraße. In ihrer Lebensführung bleibt sie von den Rosenbergs dadurch unabhängig, unternimmt Reisen, macht Kuren, verbringt die Sommermonate im Grunewald oder am Wannsee. Montags hält sie weiter ihren "Jour" ab, lädt Gäste zum Tee und pflegt ihre Kontakte zu den führenden Persönlichkeiten der organisierten Frauenbewegung.
An dieser organisierten Frauenbewegung nimmt sie auch aktiv Teil - auch wenn in der Forschungsliteratur (viel zu) oft zu lesen ist, Dohm hätte sich dieser etwa aus
"Schüchternheit" nicht angeschlossen. Behauptungen wie diese sind geradezu lächerlich angesichts der intellektuellen Kreise, in denen Dohm verkehrte, und der öffentlichen Kritik, der sich Dohm immer
wieder und mit provokantesten Schriften stellte. Sie hatte in den ersten ein, zwei Jahrzehnten als Autorin schlicht kein öffentliches Forum, auf dem sie "in persona" hätte auftreten können - und ihre
Schriften stießen in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts bei einer sehr auf Anerkennung bedachten bürgerlichen Frauenbewegung ebenfalls auf wenig Unterstützung: Dohm war ihnen zu radikal.
Erst als der radikale Flügel der Frauenbewegung entsteht und erstarkt, findet Dohm die Schwestern im Geiste, denen sie sich anschließen kann, - und das tut sie auch. Eine Liste der Vereine und Organisationen, denen sich Dohm angeschlossen hat, findet sich in der Einleitung zu "Hedwig Dohm - Ausgewählte Texte".
Mit dem Erstarken der Radikalen nimmt auch Dohms Publikationstätigkeit schlagartig zu: Sie veröffentlicht über 90 Artikel, Essays und Feuilletons, überwiegend in neu gegründeten, politisch progressiven oder feministisch radikalen Zeitschriften wie Minna Cauers "Die Frauenbewegung", Maximilian Hardens "Die Zukunft", Blochs "Sozialistische Monatshefte", aber auch in Medien wie "Bühne und Welt", in Literaturzeitschriften und Tageszeitungen. Später überarbeitet sie viele dieser Artikel noch einmal für Sammelbände wie "Die Antifeministen" und "Die Mütter". Die Bandbreite ihrer Publikationen spiegelt dabei die Bandbreite ihres Engagements, das bis zu ihrem Tod am 1. Juni 1919 ungemindert bleibt.
Dohm Grab befindet sich auf dem Alten Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg. Seit dem 22. September 2007 schmückt nun auch endlich ein Gedenkstein ihr Grab, den die Künstlerin Ulrike Oeter im Auftrag des Journalistinnenbundes realisiert hat.
Mehr Infos zu Dohms Biografie:
Isabel Rohner: Spuren ins Jetzt - Hedwig Dohm, eine Biografie. Sulzbach im Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2010.
Das Gesamtwerk der Autorin, das sie in einer Zeitspanne von über fünfzig Jahren veröffentlichte, ist nicht nur in Hinblick auf die Seitenzahl umfangreich, sondern auch in Hinblick auf die bedienten Gattungen: Hedwig Dohm war wahrlich eine Meisterin der Genres.
Neben einigen Märchen verfasste Dohm eine wissenschaftliche Abhandlung über die "Spanische National-Literatur", sechs Bände mit feministisch-politischen Essays, mehrere Lustspiele (vier davon sind erhalten), vier Romane, vier Novellenbände, drei Werke, bei denen sie Mitherausgeberin oder Mitautorin ist, zahlreiche Aphorismen sowie über 80 Artikel, Rezensionen und Novellen in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelbänden.
Bekannt ist Dohm vor allem für ihre politischen Essays und Feuilletons, in denen sie antifeministsche Meinungen, die sich als geistiges Allgemeingut, als "Alltagswissen" tarnen, mit der ihr eigenen Ironie und ihrer bestechenden Logik offenlegt und ad absurdum führt. Anlass für ihre Schriften sind nicht selten Äußerungen anerkannter Kapazitäten aus Medizin, Naturwissenschaft und Philosophie wie Möbius, Runge, Nietzsche und Maupassant, deren Thesen und Vorurteile sie humorvoll und gleichzeitig kompromisslos als unhaltbar entlarvt.
Diese Essays prägen bis heute das Bild Hedwig Dohms als scharfsinnige, rhetorisch brillante Autorin und Polemikerin, denn es waren in erster Linie diese Essays, auf die sich die Dohm-Wiederentdeckung im Zuge der Neuen Frauenbewegung im 20. Jahrhundert konzentrierte. Auf der Suche nach feministischen Vorbildern wurden Dohms fiktionale Arbeiten hingegen auf rein feministische Schlagwörter hin gelesen, man erwartete feministische Vorbildfiguren, die Dohm in diesem Sinn nicht lieferte, auch nicht liefern wollte - und man übersah neben dem beträchtlichen Umfang dieses erzählerischen Werks auch die literarischen Juwelen, die es birgt: So ist die Novelle "Werde, die du bist" von 1894 beispielsweise in Sprache, Gestaltung und Thematik eine frühe - und brillante - Arbeit der Moderne, in der Dohm die weibliche Subjekt- und Sprachkrise thematisiert und durch ein Netz von intertextuellen Bezügen zu den Werken Goethes und Nietzsche die den Frauen zugeteilten Rollen(bilder) hinterfragt.
Dadurch, dass man Dohms fiktionales Werk viel zu autobiografisch las, gerieten die literarischen und ästhetischen Qualitäten der
Texte lange Zeit gar nicht ins Blickfeld.
Auch in ihrer Erzählprosa thematisiert Dohm zwar die Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft der Jahrhundertwende und
hinterfragt die Allgemeingültigkeit einer gesellschaftlichen Ordnung, die Frauen kaum Entwicklungschancen lässt, doch unterscheidet sich ihre Vorgehensweise stilistisch stark von ihren Aufsätzen:
Während sie in ihren Essays und Feuilletons ihre LeserInnen direkt anspricht, Missstände offen kritisiert und antifeministische Thesen als unlogisch entlarvt, beschreibt sie in ihren Romanen und
Novellen vielmehr das Leben von Frauen mit all seinen Einschränkungen, denen sie unterworfen sind, und zeigt damit implizit die Gründe, die einen Wandel im Gesellschaftssystem erforderlich
machen.
Gegen Ende ihres Lebens wird für sie die Thematisierung der Kriegsgreuel des Weltkrieges immer zentraler. So ist auch ihre letzte Arbeit "Auf dem Sterbebett" von 1919, die sie nur wenige Tage vor ihrem Tod verfasst hat, Ausdruck ihres Entsetzens über Kriegsbegeisterung und Kriegsbeschönigung.
Auf eine Auflistung von Dohms Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften wird an dieser Stelle verzichtet, die alleinige Auflistung der Titel füllt ein Buch. Einen exhaustiven Überblick verschafft: Nikola Müller: Hedwig Dohm (1831-1919). Eine kommentierte Bibliografie. Berlin: trafo 2000.